Unter Schutt begraben

Orthofoto Maurizio Paul

Einer der faszinierendsten Umstände unserer Grabung ist die Tatsache, dass alle unsere Befunde unter einer immer mächtiger werdenden Schuttschicht liegen – je näher wir der Hangkante des Posaer Berges im Süden kommen.
In der letzten Woche konnten wir das wieder eindrucksvoll beobachten: Wir haben nämlich eine neue Grabungsfläche vorbereitet. Im Mittelpunkt der diesjährigen Kampagne steht weiterhin die Erforschung des Bischofspalastes, der viel größer ist und damit weiter nach Süden reicht, als wir bisher vermuten konnten. Um an den Fußboden des Erdgeschosses dieses überaus eindrucksvollen Bauwerks zu gelangen, müssen in den nächsten Monaten fast fünf Meter Erdschichten abgetragen werden. Die unteren zwei Meter sind besonders interessant – sie stammen aus der Klosterzeit. Die oberen drei Meter hingegen bestehen aus trockenem, festem Lehm und staubigem Bauschutt. Diese Schuttmassen entstanden, als das Kloster in den Jahren um 1657 abgebrochen wurde. Man hat damals alles, was man nicht mehr verwenden konnte, zu einem riesigen Schuttberg aufgetürmt, der die natürliche Topografie des Geländes völlig verändert hat. Der Schutt ist wenig ergiebig; er besteht zu großen Teilen aus Kalkmörtel, Sandsteintrümmern und zerbrochenen Dachziegeln. Wenn sich größere Estrichbruchstücke darin finden, können wir daraus wenigstens schließen, dass die in der Nähe der Fundstelle liegenden Klosterräume eingewölbt waren – denn eine Holzdecke vermag einen so schweren Boden nicht zu tragen. Einige Räume im Obergeschoss des Südflügels des Klosters besaßen demzufolge einen solchen repräsentativen Estrichfußboden.
In Posa wurde am Ende des 15. Jahrhunderts in vielen Räumen, auch im Erdgeschoss, jener sehr qualitätvolle Estrich verlegt, von dem wir immer wieder Bruchstücke finden. Die Oberfläche des Estrichs ist sauber geglättet, und seine rote Farbe wurde wahrscheinlich mit Öl zum Glänzen gebracht.
Die rote Farbe der Fußböden war gewollt. Zur Herstellung des Estrichs wurden Ziegelsteine sehr fein zerschlagen, vielleicht sogar zermahlen. Das entstandene Ziegelmehl – der sogenannte Ziegelkleinschlag – wurde mit Kalkmörtel vermischt und das Ganze vergossen. Zum Schluss wurde der Estrich sorgfältig abgezogen und geglättet. Schleifspuren konnten wir nicht entdecken; offenbar wurde der Fußboden im feuchten Zustand fertiggestellt.
Bei der Ausgrabung schauen wir jedes Estrichbruchstück genau an – es könnte ja sein, dass mal jemand irgendwo ein paar Buchstaben oder eine kleine Skizze in den noch feuchten Estrich geritzt hat. Bei Ziegelplatten von Fußböden kommt so etwas immer mal wieder vor. In mittelalterlichen Fußbodenestrichen, zum Beispiel im Kloster Ilsenburg, gibt es solche Ritzzeichnungen. Bisher ist für Posa zu vermuten, dass der Arbeitsdruck so hoch war, dass leider niemand für so etwas Zeit gefunden hat.
Doch zurück zum Schutt: Gerade dort, wo wir jetzt graben – im Süden hinter der Klausur des mittelalterlichen Klosters –, hat die Schuttüberdeckung zu völlig veränderten Geländeverhältnissen geführt. Heute fühlt es sich an, als würde man auf einer Terrasse stehen, die weit nach Süden vorgeschoben ist und dann plötzlich sehr steil in den Fockendorfer Grund abfällt. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das im Mittelalter anders war.
Sehr wahrscheinlich begann damals die etwas flachere Hangkante gleich hinter den Gebäuden des Südflügels der Klausur. Mit einer Errichtung von Mauerwerk auf der abschüssigen Hangkante war immer die Gefahr eines Abrutschens der hangseitigen Außenwand verbunden – genau wie wir es heute noch am sogenannten Abtshaus des Klosters beobachten können (in Wahrheit handelt es sich um das Gästehaus aus dem 12. Jahrhundert). Auch dieses rutscht langsam, aber stetig, immer weiter zu Tal. Vielleicht hält es doch noch mal irgendjemand auf? Technisch ist so etwas heute kein Problem. So konnte beispielsweise mit großem technischen und baulichem Aufwand ein Abrutschen des Palas der Runneburg in Thüringen gestoppt werden.
Nach der Aufgabe des Klosters in den Jahren um 1540 dauerte es noch etwa einhundert Jahre, bis man sich entschloss, die Klosterkirche und die Klausur abzubrechen. Für die Baulichkeiten gab es einfach keine Nutzungsmöglichkeiten mehr, die die immensen Instandhaltungskosten gerechtfertigt hätten.
Der vor dem Abbruch angefertigte Plan zeigt interessanterweise an zwei Stellen in den Südmauern deutliche Fehlstellen. Genau hier – in der Südwand des Ostflügels der Klausur und in der Südwand der Küche – gab es Abbrüche von Mauerwerk, die sehr wahrscheinlich auf die statisch ungünstige Hanglage zurückzuführen waren.
Warum hat man dann so weit an den Hang herangebaut? Sicher nicht zuletzt aus repräsentativer Absicht. Wenn wir uns heute aus größerer Entfernung – beispielsweise von der Posaer Straße aus – den Posaer Berg betrachten, fällt das „Abtshaus“ immer noch als gewaltiger Bau ins Auge und dominiert den Blick. Wie muss das erst auf die Menschen des 12. Jahrhunderts gewirkt haben, die selbst in Holzhütten wohnten und deren Pfarrkirchen als einzige Steinbauten keinesfalls mit den gewaltigen Baumassen eines Klosters mithalten konnten?
Für die Hanglage einiger Klosterbauten gab es aber auch ganz pragmatische Gründe. Die Lage der Klosterkirche in der Mitte des Bergplateaus in Posa war festgelegt – übernahm sie doch weitgehend den Bau der Kathedrale des 10. Jahrhunderts. Seinerzeit hatte der Bischof im Süden residiert, und die Kanoniker – also jene Geistlichen, die den Betrieb am Bischofssitz am Laufen hielten – bewohnten Gebäude nördlich der Kirche.
Unsere Grabungen haben gezeigt, dass auch nach der Verlegung des Bistumssitzes nach Naumburg im Süden des Geländes intensiv gebaut wurde. Durchaus verständlich – waren doch Wohn- und Arbeitsräume im Süden der Kirche wesentlich bequemer als jene im Norden, im Schatten der Kirche. In vergleichbaren Anlagen war das ähnlich: Am Naumburger Dom wurde im 13. Jahrhundert die Klausur im Norden aufgegeben und eine neue im Süden errichtet. Es war einfach sonniger, wärmer – und damit bequemer. In einer solchen Umgebung konnte man leidlich die strengen Regeln des Ordensgründers Benedikt von Nursia vergessen…
Schon bei den Baggerarbeiten vor einigen Tagen konnten wir feststellen, dass der Bereich hinter dem Südflügel zu einem späten Zeitpunkt in der Klostergeschichte – vielleicht im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert – großflächig eingeebnet und sorgfältig gepflastert worden war. Damit wurde quasi hinter der Klausur ein zweiter Hofbereich angelegt.
Diesen Hof durchquerte eine offene Abwasserrinne, die Schmutzwasser aus der Küche und aus der möglicherweise ebenfalls hier eingerichteten Badestube nach Süden aus dem Kloster heraus leitete.
In den nächsten Wochen werden wir all diese Befunde mühevoll freilegen, säubern und dokumentieren. Ich freue mich auf die vielen neuen Erkenntnisse – und werde wieder berichten. In diesem Sinne: An die Arbeit!