Zwischen Symbol und Realität: Zur ikonographischen Diskrepanz zwischen Oeder (1602) und Dillich (1626/29) in der Darstellung des Klosters Posa

Die zentralen Akteure der frühneuzeitlichen Bildquellen, auf die sich dieser Text bezieht, sind der kursächsische Landesvermesser Matthias Oeder (†1614), sein Neffe und Nachfolger Balthasar Zimmermann (†1633 oder 1634), sowie Wilhelm Dillich (1571–1650), der sich selbst als „Geographus und Historicus“ in kursächsischen Diensten bezeichnete. Oeder begann 1586 während der letzten Tage der Regentschaft des Kurfürsten August mit dem Kartenwerk der Ersten Kursächsischen Landesaufnahme. Er arbeitete selbst an dem Werk bis zu seinem Tod während der Regierungszeit von Johann Georg I. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts war eine spannungsvollen Zeit zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg.
Die kursächsische Landesaufnahme diente nicht nur der Erfassung von Land und Leuten zur Besteuerung und Verwaltung, sondern auch der symbolischen Durchdringung des Territoriums im Sinne einer konfessionellen und administrativen Ordnung. Und sie war für ihre Zeit das umfangreichste Kartenwerk in ganz Deutschland. Während Oeder für die zeichnerisch-graphische Umsetzung der Amtsbeschreibungen zuständig war, lieferte Dillich wenige Jahrzehnte später militärisch-topografische Darstellungen für das kursächsische Lagerbuch unter Johann Georg I.

Abb 1.: Kloster Posa in der Landeserfassung von Matthias Oeder 1602.
Abb 2: Kloster Posa auf der Stadtansicht (Auszug) von Wilhelm Dillich 1627/29.

Der ikonographische Befund

Die auffällige Differenz zwischen der Darstellung des Klosters Posa in der Zeichnung Oeders von 1602 und jener Dillichs aus den Jahren 1626/29 ist kein dokumentarischer Widerspruch, sondern Ausdruck zweier grundverschiedener Bildlogiken. Beide Illustrationen stehen in Funktion politischer Aufträge und erfüllen unterschiedliche kommunikative Zwecke im Rahmen frühneuzeitlicher Verwaltungspraxis. Sie reflektieren weniger eine objektive Realität als vielmehr die jeweilige Rolle, die Posa im Territorium Kur-Sachsens zugewiesen war.
Oeders Darstellung zeigt die Klosterkirche in nahezu vollständiger Form, mit intakten Türmen, geschlossenem Dach und einem lesbaren Grundriss. Mindestens der Ostflügel der Klausur ist im Bild sichtbar. Diese Form der Darstellung ist typisch für die kursächsischen Amtsbeschreibungen der Zeit, in denen Besitz, Zuständigkeiten und Abgaben systematisch erfasst wurden. Der visuelle Modus dieser Zeichnungen ist idealisierend, normierend und bewusst schematisch, sodass die Architekturdarin als gültiger Ausdruck von Ordnung, Legitimität und wirtschaftlichem Potenzial erscheint. Dass bereits seit fast einem halben Jahrhundert keine Mönche mehr in Posa lebten, das Kloster als Vorwerk genutzt und Teile bereits dem Verfall preisgegeben waren, wird im Bild nicht sichtbar. Der Zustand wird zugunsten einer funktionalen Visualisierung verdrängt, denn Besitz soll sichtbar und nicht beschädigt erscheinen.

Dagegen zeigt die Darstellung bei Dillich eine ruinöse Kirche ohne Dach, ohne Turmspitzen und mit eingestütztem Langhaus. Auch hier folgt die Darstellung einem konkreten Zweck: dem kursächsischen Lagerbuch. Es handelt sich um eine topographisch und militärisch motivierte Bestandsaufnahme, in der der tatsächliche Zustand von Ortschaften, Straßen, Gebäuden und Vorratslagern dokumentiert wird. In diesem Zusammenhang ist Posa nicht mehr ein Zeichen symbolischer Ordnung, sondern ein funktionsloser und leerer Ort, der tendenziell seinen Nutzen verliert. Die Darstellung entspricht der Realität nach mehr als sechs Jahrzehnten Vernachlässigung, Zweckentfremdung und beginnendem militärischen Interesse im Dreißigjährigen Krieg.
Zudem dürfen die Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) auf den Zustand von Gebäuden wie Posa nicht unterschätzt werden. Selbst wenn die Region um Zeitz zu Beginn des Krieges noch vergleichsweise verschont blieb, führten Durchzüge, Einquartierungen, Materialplünderungen und zunehmende Vernachlässigung auch in den 1620er Jahren zu erheblichen Substanzverlusten. Der abrupte Wechsel vom idealisierten Bauwerk zur dargestellten Ruine ist daher nicht nur ikonographisch zu deuten, sondern auch als Spiegel eines beschleunigten Realverfalls zu verstehen.
Beide Bilder sprechen also nicht über dasselbe, sondern einerseits über das, was Posa sein soll und auf der anderen Seite über das, was nicht mehr ist. Die Differenz bezeugt keinen Informationsverlust, sondern die Transformation eines Ortes von einem spirituell und wirtschaftlich begründeten Zentrum in eine baulich entleerte Verwaltungsrandzone. Sie ist damit nicht nur ikonographisch aufschlussreich, sondern ein Schlüssel zur Deutung politischer Bildrhetorik im frühneuzeitlichen Sachsen.

Fotografische Rekonstruktion einer Perspektive

Die fotografische Arbeit MERIAN2017 des Verfassers, schließt direkt an diese historische Bildtradition an. Sie zeigt eine Stadtansicht von Zeitz als fotografisches Panorama, wie sie von Dillich gezeichnet und später von Matthäus Merian um 1650 als Kupferstich angefertigt wurde. Stadtansichten gelten in der Kunstwissenschaft als Sonderfall der Landschaftsdarstellung, die sich im Laufe der Zeit im gleichen Maße änderten, wie sich das Verhältnis des Menschen zur Natur änderte. Zugleich veränderte sich, wie oben beschrieben, auch die Intention hinter ihrer Darstellung.
Die Fotografie des Verfassers stellt die Stadt Zeitz aus historischer Perspektive dar. Dabei wurde der Standpunkt des Zeichners des 16. JH lokalisiert. Durch die Einstellung der Kamera und das fotografische Verfahren der Bildherstellung sind die Proportionen weder verzerrt noch stilisiert. Die Brennweite der Apparatur entspricht der des menschlichen Auges. Damit ist eine Darstellung geschaffen, die als authentisches Zeitdokument zu verstehen ist, das der Betrachtungsweise der technologischen Gesellschaft der postmodernen Neuzeit entspricht.
Es ist anzumerken, dass Merians Kupferstich der Stadt Zeitz auf der Zeichnung von Dillich beruht. Auch hier übernahm Merian nicht bloß die Topographie, sondern formte sie im Sinne einer ästhetisch-ikonographischen Gesamtkomposition um. Die fotografische Antwort des Verfassers auf diese Bildtradition reflektiert nicht nur deren Perspektive, sondern auch deren symbolische Funktion im historischen wie im gegenwärtigen Bildgedächtnis.

 

Abb 3: Merian2017, Fotografie von Philipp Baumgarten zum 1050 jährigen Stadtjubiläum in Zeitz.
Abb 4: Kupferstich von Matthäus Merian von 1650 auf Grundlage der Darstellung von Wilhelm Dillich.

Bildnachweis:
Abb 1: Ausschnitt. Öder, Matthias & Zimmermann, Balthasar, Hauptstaatsarchiv Dresden, 12884, Karten und Risse, Signatur/Inventar-Nr.: Makro 00668-00701 & (Schr R, F 001, Nr I-XXIII)
Abb 2: Ausschnitt: Wilhelm Dillich, Stadtansicht Zeitz, 1627/1629, Museum Schloss Moritzburg Zeitz.
Abb 3: Merian2017, Philipp Baumgarten, 2017.
Abb 4: Stadtansicht Zeitz, Matthäus Merian, 1650.