Grabungstagebuch Eintrag Juni 2024

Ein weiterer Mosaikstein…

Am Donnerstag konnten wir – fast in Rekordzeit – die Arbeit an unserer insgesamt elften Untersuchungsfläche abschließen. In den Wochen zuvor hat Robin meist allein die Erde umgegraben und Erdschichten aus verschiedenen Epochen abgetragen. Doch auch unser bewährtes ehrenamtliches Team war wieder intensiv im Einsatz. Nun ist es geschafft und das Ergebnis kann sich sehen lassen!

Diesmal haben wir einen Abschnitt des Kreuzgangs vor dem Ostflügel der Klausur untersucht. Es war bereits zu erwarten: eine Menge Bestattungen. Insgesamt haben wir dreizehn Gräber entdeckt. Ursprünglich waren hier jedoch deutlich mehr Personen bestattet. Von ihren Gräbern sind oft nur noch einzelne Knochen übrig, da für neue Gräber alte Stätten gestört und die dabei anfallenden Knochen entweder an eine andere Stelle im Kloster verbracht oder in das neue Grab mit hinein gelegt wurden.

Im Kreuzgang wurden keineswegs nur die Mönche des Klosters bestattet. Hier fanden vor allem jene Leute ihre letzte Ruhestätte, die sich den Luxus einer solchen Grabstätte im Kloster leisten konnten. Es ist anzunehmen, dass sich vor allem wohlhabende Bürger aus Zeitz hier eine Grabstelle gekauft haben. Mit einem solchen Kauf war zugleich – und das war das Entscheidende – eine Andacht oder Messe für den Verstorbenen für alle Ewigkeit am Jahrestag seines Todes oder zu anderen besonderen Anlässen verbunden. Um den Überblick zu behalten, wurden diese Verpflichtungen der Mönche, die sich aus den Zahlungen des Verstorbenen ergaben, in einem Verzeichnis festgehalten – dem sogenannten Nekrolog oder auch Totenbuch. Für jeden Tag des Jahres sind dort die abzuhaltenden Gedächtnisse für die Verstorbenen notiert. Angesichts der immer weiter steigenden Bestattungszahlen wurden die Nekrologe im 14. und 15. Jahrhundert neu geschrieben. Manchmal findet sich darin sogar ein Hinweis auf den Bestattungsplatz des jeweiligen Stifters.

In unserem Untersuchungsgebiet sind solche Nekrologe jedoch nur selten überliefert. Mit der Reformation wurden sie bedeutungslos. Sie wurden zerfleddert, neu beschrieben – Papier oder Pergament war kostbar – oder die einzelnen Seiten zu Bucheinbänden umgearbeitet. Auch das Nekrolog des Klosters Posa ist diesem Schicksal nicht entgangen.

Nach der Reformation kümmerte sich niemand mehr um die Toten. Selbst wenn zur Klosterzeit eine Grabstelle geräumt werden musste, weil eine Neubelegung erforderlich war, ging man achtsam mit den sterblichen Überresten um. Jede Kirche verfügte über ein Beinhaus, in dem die Skelettreste eingelagert wurden, oder man legte die Knochen wieder in das neue Grab, wobei der Segen des Priesters auch diese alten Knochen einschloss. Beinhäuser gibt es heute noch in vielen katholischen Gegenden, insbesondere in Böhmen sind viele dieser bemerkenswerten, oft mit zehntausenden menschlichen Knochen gefüllten Räume erhalten.

Nach der Reformation galten die über Jahrhunderte bewahrten menschlichen Überreste nichts mehr. Wie die mitteldeutschen Klöster, gingen auch die Beinhäuser alle ein.

In dem nun untersuchten Abschnitt des Kreuzgangs konnten wir insgesamt 13 Bestattungen freilegen. Die meisten datieren in die späte Klosterzeit, also das 14. und 15. Jahrhundert. Besonders interessant sind vier Gräber, die eine spezielle Behandlung der Grabgrube aufweisen: Am Kopfende wurde extra eine Nische für den Schädel aus dem Boden ausgestochen. Solche sogenannten Kopfnischengräber gibt es wahrscheinlich nur bis zum 12. Jahrhundert, dann geriet diese Art der Beisetzung aus der Mode. Vielleicht hängt das auch mit der Verwendung von Holzsärgen zusammen, denn Sarg und Kopfnische passen nicht zusammen. Für die Bestattung in einem Kopfnischengrab musste der Tote in ein Leichentuch gewickelt sein.

So wird es auch bei den Posaer Bestattungen gewesen sein. Die Bodenverhältnisse machen es jedoch unmöglich, noch Reste der Grabausstattung zu finden. Nur bei den jüngeren Gräbern sind manchmal Holzreste und eiserne Nägel zu finden, die gute Indikatoren für die Verwendung von Särgen sind.

Betrachtet man die Posaer Bestattungen genauer, erkennt auch das ungeübte Auge vielleicht nicht immer die Kopfnischen, bemerkt jedoch sofort die unterschiedliche Armhaltung der Toten. Tatsächlich war es nicht egal, wie die Arme des Toten lagen, als er zur ewigen Ruhe gebettet wurde. Dies zeigt sich daran, dass die Armhaltung überregional zu bestimmten Zeiten immer auf die gleiche Weise praktiziert wurde. Das trifft zumindest auf die überwiegende Zahl der mittelalterlichen Gräber zu.

Anfangs wurden die Arme der Toten längs am Körper ausgestreckt. Meist liegen die Arme dann ganz eng am Körper an, ein Zeichen für die Verwendung eines Leichentuches. Später wurden die Arme angewinkelt, die Hände lagen dann auf dem Bauch oder im Schoß. Diese Praxis lässt sich gut mit einer Bestattung im Holzsarg durchführen. Spannend und noch nicht abschließend geklärt ist, wann der Übergang von der einen zur anderen Armhaltung erfolgte. Das war sicher regional verschieden. In Posa haben wir noch Bestattungen aus dem 14. Jahrhundert, die die altertümliche Armhaltung aufweisen. An anderen Orten hat man schon im 13. Jahrhundert mit angewinkelten Armen bestattet.

Nun werden die sorgsam freigelegten Skelette im Posaer Kreuzgang intensiv wissenschaftlich untersucht. Zunächst erfolgt die Geschlechtsbestimmung durch einen Anthropologen vor Ort. Dabei zeigen sich oft auch die ersten Hinweise auf krankhafte Veränderungen an den Knochen, die Rückschlüsse auf die Lebensweise zulassen. Eine der in Posa bestatteten Personen – das sieht man auch ohne große Spezialkenntnisse – litt an schwerer Karies. Von einem Backenzahn ist nur noch der Umriss vorhanden, die Entzündung hatte sich tief in den Unterkieferknochen gefressen. Die Person starb sehr jung, und sehr wahrscheinlich war die Vereiterung des Kiefers die Ursache für den frühen Tod. Die Schmerzen müssen höllisch gewesen sein. Wie gut, dass es heute Zahnärzte gibt und niemand mehr an einer solchen „Lappalie“ sterben muss. Das vergessen wir oft!

Der nächste Schritt ist die naturwissenschaftliche Untersuchung unserer Bestattungen. Dazu werden Proben entnommen, mit denen eine ungefähre Datierung der jeweiligen Bestattung möglich ist. Denn die mittelalterlichen Gräber enthalten so gut wie nie Beigaben, man hat nur die Knochen. Außerdem kann man herausfinden, wie sich die Menschen ernährten. Das ist heute über die Bestimmung eines bestimmten Verhältnisses von Kohlenstoff und Stickstoff im Knochenmaterial möglich. Wenn alles optimal läuft, hat sich sogar noch DNA erhalten. Dann ist es sogar möglich, Verwandtschaften zu analysieren. Selbst die DNA des Pesterregers kann man heute in den Zähnen der Verstorbenen noch nachweisen. Für solche Spezialuntersuchungen arbeiten wir mit dem Max-Planck-Institut in Leipzig zusammen.

Natürlich haben wir auch wieder umfangreiche Mauern freigelegt, aber um die soll es heute nicht gehen. Vielleicht nur kurz: Zwischen den Gräbern befand sich ein gemauerter, langrechteckiger Schacht (am unteren Bildrand). Das ist eine Grabkammer. Besonders wichtige Personen wurden bis ins 12. Jahrhundert hinein in gemauerten Grabkammern beigesetzt, die dann mit großen Steinplatten abgedeckt wurden. Die neue Grabkammer in Posa ist deshalb außergewöhnlich, weil sie sehr hoch aufgemauert wurde. Wir haben noch fünf Steinlagen, zwei hätten völlig ausgereicht. Interessant ist auch die Länge der Kammer, die nur 1,70 m beträgt, üblich sind meist zwei Meter.

Schade, dass man Abdeckung und Skelett spätestens im 15. Jahrhundert entnommen hat. Der Tote, der jetzt in der Kammer liegt, gehört nämlich nicht dorthin. Er ist viel zu groß und – siehe oben – hat die „falsche“ Armhaltung für ein so altes Grab.

Nun sind wir alle gespannt auf die Ergebnisse der weiteren Untersuchungen an „unseren“ Skeletten. Erfahrungsgemäß dauert das immer eine Weile. Bestimmt wächst dann schon wieder Gras über unsere Untersuchungsfläche und ein kleines Bäumchen streckt sich nach der Sonne.

Die gesamte Grabungsfläche im Überblick. (Foto: Maurizio Paul)
Detail der übereinanderliegenden Bestattung im östlichen Kreuzgang (Foto: Philipp Baumgarten)
Zwei der insgesamt dreizehn Bestattungen (Foto: Philipp Baumgarten)
Blick in das Beinhaus eines von den umliegenden deutschsprachigen Gemeinden genutzten Friedhofes in einem Wald bei Bergreichenstein/ Kasperske Hory in Südböhmen. (Foto: Holger Rode)