Auf Grund des ungewöhnlich milden Wetters konnten wir bereits an einigen Wintertagen weiter graben und die neuen Untersuchungsflächen für das Frühjahr 2024 vorbereiten. Richtig los geht es aber stets erst im März. So sind wir also mit einer großen Baggeraktion in die nunmehr 8. Grabungskampagne gestartet.
Parallel dazu wurde der Schnitt im Norden unmittelbar vor dem Südflügel des Kreuzgangs weiter bearbeitet. Dieser wurde bereits im vergangenen Jahr geöffnet und erbrachte nach der Abtragung mächtiger – und vor allem mächtig harter – spätmittelalterlicher Auffüllschichten eine unerwartete Fülle von Mauerbefunden. Die älteste Struktur schließt direkt nach Norden an unseren „Bischofsturm“ an und bildet hier einen kleinen Raum von nur etwa 1,50 m Breite. Vielleicht war hier eine Treppe vor die Fassade gestellt. In der Zeit des 10. und 11. Jh. sind solche, dem Gebäude vorgelegten Treppen die Regel. Der Platz im Inneren des Palastes war sicherlich zu kostbar, um ein Treppenhaus zu integrieren. Eine weitere Mauer überraschte uns weniger, da wir deren Verlauf schon aus der Untersuchung des letzten Jahres kannten. Es handelt sich dabei um die hofseitige Front des romanischen Kreuzgangs auf der Südseite, die sicher unmittelbar aus der Zeit der Klostergründung um 1114 stammt. Kaum zu glauben, auch weil es im Plan von 1659 keinen Hinweis darauf gibt. Aber der dritte Mauerbefund repräsentiert ein kleines Brunnenhaus, welches vor den dritten und vierten Strebepfeiler der Fassade des Kreuzgangsüdflügels gesetzt worden war. Das kleine Brunnenhaus, zudem es in zahlreichen anderen Klöstern immer wieder Parallelen gibt, hatte eine Grundfläche von vielleicht 2,50 m x 2,50 m und war eingewölbt, wie schräg gestellte Strebepfeiler an den Gebäudeecken beweisen. In das Brunnenhaus führte sicher eine Wasserleitung und es gab hier bestimmt ein kleines Becken, von dem sich allerdings keine Spur mehr fand. Der Abfluss unter dem Becken bestand aus einer schmalen Rinne, die aus Sandsteinen gebaut war und nach Osten in den Kreuzhof entwässerte und von der wir Reste finden konnten. Das Brunnenhaus gehörte sicher zur letzten Ausbaustufe des Klosters und dürfte im späten 14. oder im 15. Jh. errichtet worden sein.
Einen sehr besondereren und überraschenden Fund barg die Ausbruchgrube der Fundamente des Brunnenhauses. Man hatte nämlich Unmengen von Fensterscheiben zerschlagen und in die Gräben eingefüllt. Es handelte sich um Bleiglasfenster, die aus Scheiben unterschiedlichster Form zusammengesetzt waren. Die Gläser waren meist einfarbig, es kommen aber auch grün und blau gefärbte Scheiben vor. Das Glas ist noch nicht vollständig geborgen, das Material wiegt aber jetzt schon zig Kilo. Das Glas konzentriert sich in einer kompakten Schicht die teilweise bis zu zwanzig Zentimeter mächtig ist. Derartig riesige Glasmengen stellen eine sehr große Besonderheit dar, war man doch auf die Verwendung von Altglas bei der Herstellung neuen Glases angewiesen. Durch dieses Recycling erklärt sich die Seltenheit von archäologischen Glasfunden. Ich denke, wir haben hier einen der größten Fundkomplexe von spätmittelalterlichem Fensterglas vor uns, die jemals in Sachsen-Anhalt zu Tage kamen.
Das Glas stammt vielleicht von den Verglasungen des Kreuzgangs. Es dürfte irgendwann im 16. oder 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Abriss des Brunnenhauses in den Boden gelangt sein. Offensichtlich war es damals nur darum gegangen, die Bleiruten zu bergen, mit denen jedes einzelne Glasstück eingefasst war. Lediglich zwei kleine Fragmente davon haben die Leute damals übersehen. Warum das sicherlich ebenfalls wertvolle Altglas glücklicherweise nicht eingeschmolzen, sondern einfach so vergraben wurde, bleibt rätselhaft.
Es ist ja schon erwähnt worden, wir haben auch wieder gebaggert. Leider nur zum Teil freiwillig. Der durch die Stadt versprochene Abtransport eines Teils unseres Abraumberges kam nämlich leider nicht zustande! Um die neue Untersuchungsfläche im Bereich des Kapitelsaals des Klosters zu öffnen, mussten erst einmal Unmengen von Abraum umgesetzt werden. Das fraß nicht nur sehr viel Zeit und Geld – wir waren zweieinhalb Tage alleine damit beschäftigt – sondern war auch deshalb ziemlich bedrückend, weil wir große Teile der Untersuchungsfläche des vorigen Jahres nun wieder verfüllen mussten. Das betraf insbesondere unseren „Bischofsturm“. Dabei wollten wir doch gerade diesen sensationellen Befund solange wie möglich offen lassen, vor allem um jedem Interessierten einen Blick darauf zu ermöglichen – Pustekuchen!
Nachdem also der uns nun schon drei Jahre begleitende Abraum in zweieinhalb Tagen zum wiederholten Male – diesmal von Nord nach Süd – umgeschichtet worden war, lag endlich die Fläche vor uns, unter der sich der Kapitelsaal befindet. Tatsächlich zeigte sich der gut erhaltene Fußboden des Raumes aus großen Sandsteinplatten „schon“ etwa 1,80 m unter der heutigen Geländeoberfläche. Auch die Außenwände des Saales sind wohl noch gut erhalten und nicht wie bei der südlich anschließenden Kapelle fast vollständig ausgebrochen worden. Der halbe Baggertag reichte natürlich nicht mehr aus, um den ganzen Saal zu öffnen. Jetzt heißt es auf den nächsten Baggertermin zu warten…..
Um die Zeit bis dahin zu nutzen, haben wir begonnen, in der Nordostecke des Kapitelsaales die unter dem Schutt begrabenen Mauern freizulegen. Offenbar sind wir dabei wieder auf die Spuren von Adolf Brinkmann gestoßen, der hier 1899 gegraben hat und dessen Wirken sich daran gut erkennen lässt, das er Mauerwerk ausgebrochen hat um Werksteine aufzuspüren. Die durchaus guten aber eben unbearbeiteten Steine der Mauer wurden danach wieder in das entstandene Loch geworfen, also nicht für eine Wiederverwendung geborgen. Einen schönen Bogenstein hatte Brinkmann dabei wohl übersehen….
Was wir in der Nordostecke des Kapitelsaales gefunden haben, lässt sich noch nicht einordnen. Nur soviel: das Mauerwerk ist noch gut erhalten und besteht aus mindestens vier Bauphasen, die wahrscheinlich alle dem Bau des eigentlichen Kapitelsaales um 1150/70 vorangehen. Rätselhafterweise sind große Mauerpartien hier noch über dem Fußbodenniveau des Raumes erhalten. Das passt eigentlich nicht. Also sehen wir weiter.



